Das grüne Oval – der Stadtwall von Schrobenhausen

 

Stimmstock

Ein warmer Sommerabend im August 1847. Schrobenhausen liegt schon im Dunkeln, ein leichter Windhauch bewegt die Blätter der Bäume am westlichen Stadtwall. Da mischen sich Geigentöne in das melodische Rascheln der Blät­ter, Töne, die traurig und schwer und fern klingen. Abschiedstöne. Sie drin­gen aus einem Fenster, hinter dem kein Licht brennt. Der verborgene Geiger ist ein junger Mann von kaum 20 Jahren. Ein junger Künstler, ein Maler und Musiker, von seinem Vater dazu bestimmt, Maurer zu werden. Aber die schwache Gesundheit des Jünglings erspart ihm diese Dissonanz: Er stirbt am 9. Oktober 1847 an einer Lungenentzündung.

Der junge Mann am nächtlichen Stadtwall war Karl August Lenbach, Bruder des späteren »Malerfürsten« Franz von Lenbach. Seit ich diese Schilderung in Georg August Reischls Buch »Lenbach und seine Heimat« gelesen habe, komme ich auf dem Weg über den Stadtwall nicht mehr am Lenbachhaus vor­bei, ohne verklingende Geigentöne zu hören und an den früh verstorbenen Karl August Lenbach zu denken, anstatt, wie es wohl üblicher wäre beim Anblick des Lenbachhauses, an dessen berühmten Bruder. Traurige Klänge dürften aber auf dem Rondo des Stadtwalls eher die Ausnahme sein. Es herr­schen Dur-Tonarten vor. Die Bäume lassen sich piano vernehmen, die Vogel­welt zwitschert pizzicato dazu, das Andante der erwachsenen Passanten wird aufgelockert durch das Vivace der Kinder, denen sich hier Berge und Täler, Wälder und Jagdgründe auftun.

Lorbeerblatt

»Einer der erfreulichsten und beglückendsten Vorzüge Schrobenhausens ist sein Stadtwall.« So leitet die Schrobenhausener Zeitung am 14. Juni 1958 einen ganzseitigen Artikel ein, in dem der damalige Kreisheimatpfleger Georg August Reischl die Geschichte der Schrobenhausener Wehranlage ausbreitet, in großer Sorge um eine schleichende Zerstörung der Stadtmauer und womög­lich auch des Stadtwalls, »in unseren materialistischen und scheinbar so unro­mantischen Zeiten«. Eingedenk des Lokalpatriotismus der Schrobenhausener Bürger skizziert das redaktionelle Vorwort den Stadtwall mit folgenden Wor­ten: »Viele andere Orte beneiden uns darum, jeder Fremde ist entzückt. Auch die Einheimischen aller Altersstufen genießen ihn: Aus ihren Kinderwägen schauen schon die Säuglinge in sein grünes Blätterdach, die Schulkinder lär­men auf ihm, Verliebten ist er Zuflucht bei Mondenschein und Sternengefun­kel, gesetzte Bürger promenieren darauf nach dem sonntäglichen Gottes­dienst und die ganz Alten gar, sie sind die Stammgäste der vielen lustig bunt gestrichenen Bänke.«

Der Stadtwall – Tummelplatz für alle Generationen, geruhsamer Parcours zwischen stummen Baumriesen, Rettungsring vor innerstädtischer Hektik. Diese friedliche Zukunft ist ihm wahrlich nicht in der Wiege gesungen wor­den.

Stachelschale

Im 15. Jahrhundert wurde Schrobenhausen erweitert und mit einer Stadt­mauer gesichert. Dazu gehörte nach der damaligen Wehrtechnik ein innerer und ein äußerer Wassergraben mit einem Erdwall dazwischen. Ein bewaffne­ter Angreifer stand also auf dem Wall wie auf dem Präsentierteller für die hin­ter den Schießscharten lauernden Verteidiger. Da aber der Verteidigungsfall nicht allzuoft eintrat, bekam der Wall beizeiten ein friedlicheres Gesicht: Man bepflanzte ihn. Georg August Reischl weist dies an zwei alten Stadtkammer­rechnungen nach: »( … ) wurden viele Linden und Pirnbäum vom Eschhai ( das ist die alte Bezeichnung für den Stadtflurwächter) eingesetzt und den gan­zen Sommer hindurch von ihm regelmäßig gegossen (. . . ) bekam dafür 28 Pfennig« (1592). »( … ) haben vier Bürger Lindenbäum aus der Hagenau ausgegraben und bei dem Untern Tor wieder eingeimpft; erhielten dafür ver­ehrt 1/2 Gulden« (1595). Vereinzelten Baumbestand auf dem Wall sieht man auch auf dem Fresko von Hans Donauer im Antiquarium der Münchner Resi­denz, das Schrobenhausen im Jahre 1583 zeigt.

Anfang des 19. Jahrhunderts waren Stadtmauer, Gräben und Wall wehrtech­nisch längst wertlos geworden. Der Wall war kahl und von unregelmäßiger Höhe; die Stadtmauer wurde niedergerissen, wenn eine Baumaßnahme beab­sichtigt war. Wie leicht hätte der Ausdehnungsdrang der Stadt nun die gesamte Wehranlage sprengen und einebnen können.

Da erhielt das historische Oval im Jahr 1825 plötzlich Aufwertung und Aner­kennung: Der Stadtwall wurde neu in Form gebracht und bepflanzt. Viel­leicht ist dieser zukunftsträchtigen Tat sogar die Rettung der Wehranlage zu verdanken. Wer hat in letzter Minute diesen Rettungsring angelegt? Wer sind die Schöpfer dieser grünen Wehrmauer gegen die Zerstörung der mittelalterli­chen Umfriedung, die heute der Stolz Schrobenhausens ist?

»Culturwurzeln«

Die »Schrobenhausener Chronik« meldet im Jahr 1850: »Am 15. und 16. April des Jahres 1825 wurde hier der hiesige Wall um die Stadt, welcher durch den hiesigen Unteraufschläger (Steuereinnehmer), Herrn Oberleutenant Hegele, seine dermalige Cultur empfing, mit Bäumen und Gesträuchen besetzt. Obgleich Herr Hegele von der hiesigen Gemeinde 50 fl. Honorar für seine Bemühungen empfing, so gebührt ihm dennoch unser fernerer Dank für diesen Wall, der vorzüglichsten und angenehmsten Zierde unserer Stadt.«

Im Archiv der Stadt befinden sich noch die Abrechnungen Hegeles für die »Erhöhung und Erweiterung des hiesigen Stadtwalles« vom 15. November 1824 bis 4. Mai 1825. Am Tag der Vollendung wurde »den Tagwerkern noch­mal Bier und Brot« bezahlt. Für durchschnittlich 21 Kreuzer pro Tag hatten sie über 400 Arbeitstage am Wall abgeleistet. Hegele selbst erhielt am 25. August 1825 für »die Leitung der Verschönerungsanstalten um die Stadt Schrobenhausen« von der Stadt ein Honorar von 54 Gulden angewiesen.

Der Dank der Stadt ging sogar so weit, daß »auf Verlangen« des Magistrats am 23. Juni 1825 gegen Bezahlung von 3 Gulden und 21 Kreuzern ein Artikel in das Münchner Unterhaltungsblatt »Flora« eingerückt wurde, der mit der spröden Überschrift »Über Landes-Verschönerung« versehen war. Die Quit­tung des Redakteurs brachte Max Direktor vom Schrobenhausener Stadt­archiv auf die Spur dieser »Geburtsurkunde« des heutigen Stadtwalls. Der Artikel besteht nur aus fünf Sätzen und ist im Namen des Magistrats von Bür­germeister Frisch unterzeichnet. Zunächst wird die frühere Bedeutung der Wehranlage gewürdigt. Dann folgt das Bekenntnis, daß besonders der östli­che Stadtwall durch die Überschwemmungen der Paar und Weilach schon sehr geschädigt war. Da der Wall aber Schutz vor Hochwasser bieten sollte, war seine Ausbesserung »unvermeidlich« geworden. Es folgen noch drei Sätze: »Der, der hiesigen Stadt während seines kurzen Hierseyns durch die Anlage eines zierlichen und dauerhaften Weges zu den Gottesäckern und mehrere andere Verschönerungs-Anstalten verehrungswerth gewordene k. Oberlieute­nant und Aufschlagseinnehmer Hr. F. Högele brachte in Antrag: den Wall um die Stadt mittelst Aufführung zu einem öffentlichen Spaziergang umzuwan­deln, und bei der bereitwilligen Empfänglichkeit der hiesigen Einwohner für Verschönerung und Kultur übernahm derselbe die Leitung eines Geschäftes, das seine rastlose Thätigkeit im höchsten Anspruch nahm, den hohen Sinn und Sachkenntniß dieses würdevollen Offiziers im höchsten Grade bewährte, und ein unvertilgbares Denkmal des Dankes und der Achtung hiesiger Stadt ihm setzte. Mehr als 5000 Fuhren wurden durch die Menathbesitze (Besitzer von Zugtieren) geleistet, vom October 1824 bis Mai 1825 so unablässig gear­beitet, und die versunkenen Stellen erhoben, daß nun ein 18 Schuh breiter und 2000 Schritte langer Spaziergang angelegt, derselbe mit 400 Bäumen und Gesträuchen besetzt, und das Ganze einer neuen Schöpfung ähnlich vollendet ist, so daß dieser Platz täglich, selbst auch von durchreisenden Fremden besucht, und als zweckmässig und wohlgeordnet befunden wird. Für die Aus­führung dieses Unternehmens gebührt dem Hrn. Oberlieutenant Högele, als Antragsteller und Leiter des Geschäftes, der wohlverdienteste Dank der hiesi­gen Bürgerschaft, welcher demselben hiermit unter dem Wunsche gezollt wird, daß diesen verdienstvollen Beförderer der Verschönerung und des Gemeinnützigen noch oft der Wink des Wirkens in diese seine Lieblings­sphäre erwarten, und seinem unermüdet thätigen Geist Gelegenheit schaffen wolle, allenthalben seinen Mitbürgern, wie uns, nützlich zu seyn, und sie durch ähnliche Werke, gleich entsprechend dem wohlthätigen Sinne der Aller­höchsten Gesetzgebung, wie den Einwirkungen auf Menschenwohl und Glück, zu erfreuen.«

Außer der halsbrecherischen Satzbautechnik des Artikels fällt auf, daß in die­sem offiziellen Bulletin Hegele als einziger Initiator der Wallsanierung darge­stellt wird. Es gab aber noch einen zweiten: den Volksschullehrer Michael Sommer.

In einem Lebensbild Sommers, veröffentlicht 1906 vom Historischen Verein Schrobenhausen, schreibt Ludwig Gröschl: »Der Wall um unsere Stadt war fast baumlos, ungleich und nieder. Auf Sommers Betreiben stellte Bierbrauer Schredinger einen ganzen Sommer, 1825, ein Pferd zur Beifuhr von Erde zur Verfügung, während Kaufmann Khan, Nadler Pöllath und einige andere Bür­ger das Unternehmen mit Geldbeiträgen unterstützten. An der äußeren und inneren Böschung pflanzte Aufschläger Hegele Bäume; die Strecke vom Post­garten bis zum oberen Tor war mit wilden Rosen besetzt, und vom Herzog­Max-Garten bis zur Fronfeste zierte eine freundliche Blumenanlage die äußere Wallböschung.« Es ist zwar nicht genauer bekannt, wie intensiv Som­mers »Betreiben«, wie aktiv seine Beteiligung am Projekt Stadtwall war, aber Georg August Reischl, der ehemalige Hüter des Stadtarchivs, würdigt im ein­gangs erwähnten Zeitungsartikel von 1958 Hegele und Sommer als Antriebs­kräfte zur Rettung des Stadtwalls: »In Hauptlehrer Sommer und Aufschläger Hegele erstanden dem vernachlässigten Stadtwall tatkräftige Freunde. Sie warben für eine schöne Bepflanzung, gewannen die finanzielle Hilfe angese­hener Bürger und legten selbst unentwegt Hand an ( … ).«

Ein Blick in die Lebensbeschreibung Sommers zeigt, daß seine maßgebende Mitwirkung an der Bepflanzung des Walls mehr als wahrscheinlich ist:

Michael Sommer, gebürtig aus Kempten, kam im September 1822 nach Schro­benhausen. Sein Vater war Verwalter einer Ökonomie gewesen, und zeitlebens interessierte Sommer sich und seine Schulkinder für landwirtschaftliche Fra­gen. In der Gemeinde Steingriff – in der nach ihm heute noch so benannten »Sommerau« – bewirtschaftete er selbst einige Tagwerk Ackerland. Auch an der Stadtmauer hatte er einen Garten. »Irn gegenwärtigen Friedhof( … ) waren die meisten Grabstätten ungeordnet durcheinander. Solch gar zu länd­liche Gestaltung beleidigte sein ästhetisches Gefühl, und er ruhte nicht, bis er 1841 die Erlaubnis erhielt, die Grabstätten in Reihen zu bringen und Gänge anzulegen.« Sommer setzte auch die Errichtung eines Kreuzweges durch. Auf  einer Wiese an der Straße nach Hörzhausen baute er eine unterirdische Halle mit Rasendach; das Licht fiel durch farbige Gläser magisch in den Raum, in dem Tische und Bänke zum Ruhen einluden. In heutiger Zeit wäre Sommer wohl Landschaftsarchitekt geworden. Als der 22jährige Lehrer 1822 nach Schrobenhausen versetzt wurde, muß er sofort erkannt haben, welche land­schaftsgestalterischen Möglichkeiten der Stadtwall bot. Zwei Jahre später war er dann schon mit dabei, den Wall neu anzulegen.

Von dem in Schrobenhausen erst kurz vorher zugezogenen Sommer und dem offensichtlich auch noch nicht lange hier lebenden Hegele ging also der Impuls zur Wiederbelebung des darniederliegenden Stadtwalls aus. Daß sie in verhältnismäßig kurzer Zeit tatkräftige Unterstützung für die Bepflanzungs­aktion finden konnten, spricht wohl dafür, daß der Gedanke vom grünen Stadtwall schon »in der Luft lag« oder vielleicht sogar schon in groben Zügen geplant war. Jedenfalls rannten beide mit ihrem Vorstoß offene Stadttore ein.

»Landes-Verschönerung«

Im »Unternehmen Stadtwall“ wird damaliger Zeitgeist offenbar, der nun auch außerhalb der aristokratischen Ziergärten ein Bestreben nach Verschö­nerungsmaßnahmen durch geplante Naturgestaltung entwickelte. Die her­aufdämmernde Industrialisierung drängte die Natur aus ihrer Selbstverständ­lichkeit in die Rolle des Besonderen, der Verzierung. Man wurde sich der Ästhetik der Natur bewußt im Moment ihrer Bedrohung. 1825, als in Schro­benhausen »Landes-Verschönerung« praktiziert wurde, verdunkelte in Eng­land der Dampf der ersten Lokomotive den Himmel (50 Jahre später war auch Schrobenhausen an das wachsende Eisenbahnnetz angeschlossen); im selben Jahr vollendete Caspar David Friedrich sein Gemälde »Watzmann«, ein Bild, das reine, ätherische Natur beschwört im künstlerischen Bewußtsein ihrer Bedrohung. Diese Bedrohung hat heute ein Maß erreicht, das uns Bäume wie die auf dem Stadtwall fast als Reliquien – wenn nicht bald als Fossilien – erscheinen läßt …

Wolkenbruch

Der aufgelassene äußere Graben regte Mitte des 19. Jahrhunderts einige wirt­schaftliche Nutzungsversuche an: Im südlichen Teil der Wallanlage wurden von der Stadt Maulbeerbäume angepflanzt, nach dem Vorbild des Lebzelters Kröner. Aber das rauhe Klima ließ nichts aus der Seidenraupenzucht werden, die Anpflanzung ging ein. Landgerichtsarzt Dr. Hug und auch Michael Som­mer versuchten, in extra angelegten Teichen im äußeren Stadtgraben Blutegel zu züchten. Reischl zitiert einen Zeitgenossen: »( … ) die eingeworfenen Blut­egel wurden durch eine wilde Flut, verursacht von einem Wolkenbruch, größ­tenteils aus ihren Teichen weggeschwemmt.«

Das Wasser im Stadtgraben – ehemals zur Abschreckung der Angreifer gedacht – schreckte schließlich die Schrobenhausener Bürger selber ab: 1870 forderten sie die Kanalisation des inneren Grabens, weil sie der Gestank des Brackwassers störte. So wurden die Stadtgräben mit der Zeit trockengelegt. Auf zwei alten Postkarten aus der Jahrhundertwende, veröffentlicht in den »Schrobenhausener Ansichten« (S. 78 f.), kann man noch einen Bach im west­lichen äußeren Graben und eine Holzbrücke darüber sehen. Beides -vor Zei­ten aus der Mode gekommen und als rückständig, unpraktisch eliminiert- hat jetzt gute Chancen, wieder zurückzukehren.

Am 16. August 1916, abends zwischen acht und neun Uhr, versetzte die Natur selbst dem Stadtwall einen harten Schlag: »Fast ist die Feder nicht im Stande, ein Bild von der Verwüstung zu geben. Uralte Bäume, mit l1/2 Meter Durch­messer, welche seit fast hundert Jahren jedem Unwetter trotzten, liegen nun dutzendweise mitsamt dem Wurzelstock in den Gräben oder Gärten und ver­sperren die Passage. ( … ) Der östliche Stadtwall«, so das »Schrobenhausener Wochenblatt«, »hat besonders arg gelitten«. Sofort wurden die Lücken wie­der aufgeforstet.

Wallfahrt

Kommen Sie mit auf eine Runde um den Stadtwall? Sie durchqueren dabei einen Wald, in dem über 500 Bäume stehen, vor allem Kastanien, Ahorn­bäume, Eichen und Linden. Das dichte Blätterdach schützt Sie vor der Sommerhitze. Bei einem Platzregen genießen Sie es, unter den Baumriesen im Trockenen zu sein, während es »draußen« gießt. Aus dem Dschungel der riesi­gen Baumkronen vernehmen Sie Gezwitscher, Gezeter und Geflöte; dort tummeln sich zahlreiche Vogelarten, tatkräftig gefördert durch die einladen­den Nistkästen des Vereins der Vogelfreunde.

Ein Baumriese jagt Ihnen einen Schreck ein – er ist mit Seilen festgebunden, mit Drainageröhrchen gespickt, mit Baumwachs maskiert. Einige solcher arboresker Gruselstücke zeigen, daß auch Bäume altern. »Sanierung« heißt das Zauberwort, und der Stadtrat hat dafür in den letzten Jahren viel Geld lok­kergemacht. langsam rückt aber dennoch der Zeitpunkt heran, an dem Neu­anpflanzungen größeren Ausmaßes nötig sein werden, damit es für die nach­folgenden Generationen wieder einen »Stadtwald« gibt …

Sollte sich Ihr Kind plötzlich von Ihrer Hand losreißen, lassen Sie es laufen: Es ist der magischen Anziehungskraft der Spielgeräte erlegen, die 1985 an zwei Stellen des Stadtgrabens neu aufgestellt wurden. Wenn es Herbst ist, wer­den Sie der Versuchung nicht widerstehen können, eine der glänzenden Kasta­nien vom Boden aufzuheben. Im Winter sind Sie Zeuge dramatischer Schlit­tenabfahrten dick eingemummter Zwerge.

Begegnen Sie auf Ihrem Spaziergang einem Hund, so ermahnen Sie ihn zu ehr­fürchtiger Reinhaltung des Kulturschatzes. Diese Ermahnung dürfen Sie auch verschiedenen Mitmenschen zuteil werden lassen, denn bei einer Suchaktion wurden im Bereich des halben Stadtwalls einmal nicht weniger als 252 Müll­teile gefunden, darunter auch ein Hundertmarkschein – allerdings Spielgeld. Auf Ihrer »Wallfahrt« begleiten Sie auf der einen Seite der innere Graben und die Stadtmauer; auf der anderen Seite läuft der äußere Graben mit, von par­kenden Autos umzingelt, die den Bäumen auf den Zehen stehen. Manchmal rächt ein Vogel oder eine herabfallende Kastanie dieses Heranrücken der Blechlawine. Sie müssen sich hie und da vor eiligen Radfahrern retten, denen der Stadtwall halb lästiges Hindernis, halb sportliche Herausforderung ist – Fahrverbot hin oder her. Es kann Ihnen aber auch passieren, daß Ihr Spazier­schritt plötzlich gehemmt wird von zwei nebeneinanderschreitenden Gesprächspartnern, deren Diskurs gerade einen so intensiven Punkt erreicht hat, daß sie nur noch im Schneckentempo vorrücken. Überholen können Sie schwerlich. Der Weg ist schmal und die Böschung ist steil, besonders am west­lichen Wall. Jetzt brauchen Sie Geduld und ein bißchen Zeit- beides sind Kul­turgüter, die Sie im Ritardando des Stadtwalls wiederfinden können …

Sie sind jetzt auf dem Wall einmal um die ganze Stadt herumgegangen und können auf Ihrer Trimm-Dich-Karte 1,33 Kilometer eintragen. Sind es 2000 Schritte, wie es 1825 in der Zeitschrift »Flora« zu lesen war? Falls Sie sich nun in das Geschäftsleben der City stürzen wollen, haben Sie am östlichen und am westlichen Wall je zwei romantische Durchgänge durch die Stadtmauer zur Auswahl. Wenn Sie gestreßt zurückkommen und etwas Erholung brauchen:

Der Stadtwall ist immer für Sie da!

Gucklöcher

Biologisch gesehen verbessern die Bäume des Stadtwalls das Kleinklima. Finanzpolitisch ausgedrückt erbringt das »grüne Oval« jährlich eine Leistung von weit über einer Million Mark, legt man den volkswirtschaftlichen Nutzen eines Baumes zugrunde, wie ihn Frederic Vester 1985 ermittelte – für alle, denen Naturschutz leichter fällt, wenn sich dabei irgend etwas »rechnet«. Ver­kehrstechnisch gesehen ist der Wall ein autofreies Roundabout, auf dem die Fußgänger sehr positive Luftwerte vorfinden. Von kultureller Seite her darf man den Stadtwall als historischen Rundwanderweg mit vielen Gucklöchern in die Vergangenheit preisen. Psychologisch betrachtet verschafft uns ein Gang auf dem erhöhten Weg des Stadtwalls das Gefühl, über den Dingen zu stehen; die Eindeutigkeit des von stummen und mächtigen Bäumen gesäum­ten Weges fördert die Konzentration und die innere Ruhe; das Blätterdach ver­mittelt ein Gefühl von Raum und Geborgenheit. Und der ästhetische Nutz­effekt: Nicht nur der Anblick der archaischen Baumgestalten erfrischt das an abgezirkelte Industrieformen gewöhnte Auge, sondern auch der Stadtwall als Ganzes, als Oval, bietet uns eine optische Sensation, die wir freilich nur von den Luftaufnahmen her kennen. Fühlt nicht ein Düsenjägerpilot, besser viel­leicht: ein über Schrobenhausen hinweggondelnder Ballonfahrer, wie »heime­lig« eine eingefaßte Siedlung wirkt? Die grüne Grenzlinie strukturiert, gibt Maß und schafft Übersichtlichkeit, die uns zugleich Sicherheit bedeutet. Ent­fernt man zum Spaß – in einer Collage habe ich es versucht – den grünen Ring um die Stadt, dann wird aus dem Stadtkern von Schrobenhausen das, was aus vielen neuzeitlichen Städten und Siedlungen geworden ist: ein gleichförmiger, unübersichtlicher Siedlungsbrei, ohne Orientierungspunkte, bau- und · finanztechnisch rationell, aber ohne Berücksichtigung humaner Seh- und Denkgewohnheiten, die schließlich den Maßstab für urbanes Wohlbefinden setzen.

Was wäre Schrobenhausen ohne Stadtwall? Eine Collage von Karl Stöger.

Flora

Schrobenhausen hat Glück gehabt, daß es nicht zu Brei geworden ist. Allen, die sich darum Verdienste erworben haben, sollte ein Bäumchen gepflanzt werden – auf dem Stadtwall, im Goachat, in der Innenstadt, in Ihrem Garten, in Ihrer Straße, im zukünftigen Stadtpark und wo immer noch ein Plätzchen frei ist, wie ehemals auf dem öden Stadtwall …

 

Quellen

Bickel, Benno; Pollinger, Thekla Maria: Schrobenhausener Ansichten. Schrobenhausen 1980.

Fick, Michael: Chronikon der Stadt Schrobenhausen. Schrobenhau­sen 1850. S. 82 r.

Flora: Ein Unterhaltungs-Blatt, Nr. 99, 23. Juni 1825.

Gröschl, Ludwig: Lebensbild des Oberlehrers Michael Sommer. In: Vorträge, gehalten im Historischen Verein für Schrobenhausen und Umgebung. Erste Reihe. Schrobenhausen 1906.

Reischl, Georg August: Lenbach und seine Heimat. Schrobenhausen 0. J. (1954).

Reischl, Georg August: Der alte Schutzgürtel der Stadt bedarf unse­res Schutzes. In: Schrobenhausener Zeitung, 14. Juni 1958.

Schrobenhausener Zeitung, 19. August 1916 (Unwetter).

Vester, Frederic: »Ein Baum ist mehr als ein Baum«. München 1985.

Vitzthum, Werner: [verschiedene Beiträge]. In: Schrobenhausener Zeitung, 1980-1992.

Dank an Max Direktor vom Stadtarchiv

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Durchgesehene Fassung eines Textes aus dem Jahre 1992. Die Rechtschreibung wurde nicht angepasst.
© 1992 Karl Stöger

 




Der Chronist Johann Evangelist Waldvogel

Johann Evangelist Waldvogel (1804-1855). Bisher war so gut wie nichts zur Biographie dieses Schrobenhausener Chronisten bekannt. Geboren ist Waldvogel – in den meisten Quellen in Gegensatz zur Titelseite der Chronik Waldvogel geschrieben – im Jahr 1804 in Schrobenhausen als Sohn des dortigen Kaminkehrers. Waldvogel studierte Theologie in München. Im Jahr 1836 ist er Kaplan in Neuburg. Nach einem kurzen Aufenthalt in Genderkingen wird Waldvogel zunächst Pfarrprovisor in Nördlingen und  im Jahr 1838 zum katholischen Stadtpfarrer in der protestantisch geprägten Stadt ernannt. Waldvogel wird Distriktsschulinspektor und ab 1846 Dekan für das Dekanat Donauwörth. Der Jahresbericht der Lateinschule Nördlingen vom Jahr 1854/55 berichtet: „Am 10. Juni verließ der k. katholische Dekan Waldvogl, der den katholischen Religions- und Geschichtsunterricht an der Anstalt zu geben hatte, die hiesige Pfarrei, um eine andere anzutreten, nachdem er in diesem Schuljahr durch Kränklichkeit vielfältig gehindert worden war, den Unterricht an der Lateinschule mit seiner gewohnten Treue zu besorgen.“ Im Mai 1855 war ihm die Pfarrei Loppenhausen im Landgericht Mindelheim verliehen worden. Am 27. Juni, kurz nach seiner Ankunft an seiner neuen Wirkungsstätte, stirbt Johann Evangelist Waldvogel. Drei Jahre später erscheint seine „Historische Skizze“ im Verlag der M. Hueber’schen Buchhandlung in Schrobenhausen. In einer Anzeige im Schrobenhausener Wochenblatt vom 20. Febr. 1858 heißt es: „Dieses in jeder Beziehung interessante Schriftchen wird Niemand ohne Befriedigung lesen, und ist bei dessen Billigkeit Jederman ermöglicht, sich dieses Werkchen zu verschaffen.“

Diese erste Kurzbiographie beruht nicht auf Archivrecherchen, sondern wurde allein über Recherchen im Internet zusammengestellt. Für die freundliche und großzügige Unterstützung bedanken wir uns ganz herzlich bei Marie-Luise Missel vom Bayerischen Landesverein für Familienkunde.




Der Heimatforscher Michael Thalhofer

Michael Thalhofer (1855-1929) wurde in Aichach geboren. Er besuchte das Gymnasium in München und studierte dort anschließend Theologie. Im Jahr 1877 wird er zunächst zum Kaplan in Schrobenhausen ernannt, danach war er hier fast ein halbes Jahrhundert Benefiziat. Seine besondere Neigung zur Heimatgeschichte konnte er als Gründungsmitglied des Historischen Vereins ausleben, fast dreißig Jahre war er dessen Schriftführer. Er hielt zahlreiche Vorträge und publizierte sie in der historischen Reihe des Vereins. Er gab die hier digitalisierte Broschüre im Auftrag des Vereins heraus und veröffentlichte im „Ehrenbuch“ die auch heute noch anrührenden und zeitgeschichtlich bedeutsamen Briefe von Schrobenhausener Gefallenen aus dem Ersten Weltkrieg. Heute zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist seine Chronik „Zur Schrobenhauser Geschichte“, die in zahlreichen Folgen in den Schrobenhausener Wochenblättern 1886 bis 1888 erschien. Im Jahr 1927 verlieh ihm die Stadt Schrobenhausen für seine Verdienste das Ehrenbürgerrecht.

Publikationen (Auswahl)

  • Zur Schrobenhauser Geschichte, in: Schrobenhausener Wochenblatt, 27. Febr. 1886 bis 7. Jan. 1888 (Serie bricht mit diesem Beitrag ab) – Die Autorschaft Thalhofers geht hervor aus seinem Beitrag: Aus grauer Vorzeit Tagen, in: Vorträge, gehalten im Historischen Verein Schrobenhausen und Umgebung, Zweite Reihe, Schrobenhausen 1908, S. 131
  • Eine Jubiläums-Erinnerung, in : Vorträge, gehalten im Historischen Verein für Schrobenhausen und Umgebung, Erste Reihe, Schrobenhausen 1906, S. 29-36 – Martin Neugschwendner im Spanischen Erbfolgekrieg 1704
  • Einige Legenden und Sagen aus dem Bezirk Schrobenhausen, in: Vorträge, gehalten im Historischen Verein für Schrobenhausen und Umgebung, Erste Reihe, Schrobenhausen 1906, S. 37-70
  • Zur Geschichte des Franziskanerklosters in Schrobenhausen 1642-1802, in: Vorträge, gehalten im Historischen Verein für Schrobenhausen und Umgebung, Erste Reihe, Schrobenhausen 1906, S. 71-134
  • Aus grauer Vorzeit Tagen, in: Vorträge, gehalten im Historischen Verein für Schrobenhausen und Umgebung, Zweite Reihe, Schrobenhausen 1908 , S. 104-13 – Aufsatz über prähistorische Funde und mittelalterliche Quellen und Urkunden
  • Aeltere Geschichte der Schule Schrobenhausen, in: Vorträge, gehalten im Historischen Verein für Schrobenhausen und Umgebung, Zweite Reihe, Schrobenhausen 1908, S. 133-151
  • Schrobenhausen, seine Geschichte, Sehenswürdigkeiten und Umgebung, Schrobenhausen [1910]
  • Von Hohenwart in Oberbayern: dem Klosterberg und Markt, in: Vorträge, gehalten im Historischen Verein für Schrobenhausen und Umgebung, Vierte Reihe, Schrobenhausen 1921, S. 1-251
  • Michael Thalhofer (Hrsg.): Ehrenbuch zum Gedächtnis der aus der Stadtpfarrei Schrobenhausen 1914-1918 gefallenen Krieger, Schrobenhausen 1923

 

 




Das Schrobenhausener Schulhaus in der Lenbachstraße 22

Lenbachstraße 22 – das Gebäude der vhs Schrobenhausen, ein Gebäude, das im Lauf der Zeit unter vielen Bezeichnungen bekannt war: Wirtshaus zum Bräuhiesen, Schulhaus, Mädchenschulhaus, Knabenschulhaus, Landwirtschaftsschule, Oberrealschule und Heimatmuseum. Im ältesten Schrobenhausener Stadtplan aus dem Jahr 1812 heißt die heutige Lenbachstraße noch Poststraße, das Wirtshaus zum Bräuhiesen hat der Bräuhiesengasse (heute: Bräuhiasengasse)  schon ihren Namen gegeben.

Seit dem Jahr 1802 bestand in Bayern die allgemeine Schulpflicht, doch das alte Schulgebäude in der heutigen „Alten Schulgasse“ entsprach in keiner Weise mehr den Anforderungen. So beauftragte die Regierung des Oberdonaukreises den Stadtmagistrat im Jahr 1818, wegen der „beschränkten, feuchten und ungesunden Lage“ des alten Schulhauses nach geeigneteren Schulräumen Ausschau zu halten. Da kein geeignetes städtisches Gebäude zur Verfügung stand, musste ein Schulraum angemietet werden. Kurze Zeit trug man sich mit dem Gedanken, das Spitalgebäude umzubauen, doch war dieses Gebäude schon dem königlichen Rentamt versprochen worden, das schließlich – nach längerem Zögern – darauf drängte, es nach Bezahlung des Schätzpreises zu übergeben. In dieser Situation bot der Bierbräuer Anton Bitzl im Dezember 1821 sein Anwesen zum Bräuhiasen dem Stadtmagistrat zum Kauf an.

Bürgermeister Willibald Frisch verfasste einen kurzen Bericht an das Kollegium der Gemeindebevollmächtigten, das neben dem Magistrat Einfluss auf wichtige städtische Entscheidungen hatte:

„Da sich mehrere Liebhaber für dieses Haus – welches zu einem Schulhause ganz vorzüglich geeignet wäre – finden sollen, so beeilet man sich, die Bevollmächtigten von der Sache zu dem Ende zu unterrichten, damit sie sich erklären mögen, ob sie den Kauf dieses Hauses billigen oder nicht, um sofort die weitere Einleitungen treffen zu können.“

Die Sache wurde bevorzugt behandelt: Eine Besichtigung schon zwei Wochen später ergab, dass das Haus als Schule „vorzüglich geeignet“ sei. Stadtmagistrat und Gemeindebevollmächtigte stimmten dem Ankauf und Umbau zu: das Gebäude selbst kostete 1.375 Gulden, mit Umbaukosten sollte das neue Schulhaus insgesamt etwa 3.000 Gulden kosten. Franz Lenbach, der Vater des berühmten Malers, übernahm die Maurerarbeiten und zeichnete den Plan für den Umbau. Die Arbeiten nahmen raschen Fortschritt, bereits im Spätherbst 1822 wurde das neue Schulhaus erstmals bezogen, und im Jahr 1823 konnte es vollständig fertiggestellt werden.

Schulhaus Schrobenhausen

Fassade des Schulhauses nach den Plänen von Stadtmaurermeister Josef Lenbach (Stadtarchiv Schrobenhausen).

Die Umbaukosten waren wesentlich höher als erwartet, doch war man mit dem Werk sehr zufrieden. Der Lokalschulinspektor, Benefiziat Anton Ertlmair, war voll des Lobes:

„Das prächtige Schulhaus, das 1822 angekauft und hergestellt wurde, wovon die Kösten sich beyläufig auf 5100 fl. [=Gulden] beliefen, entspricht vollkommen der Erwartung eines jeden Schulfreundes. Die Zimmer der Lehrer und 4 helle geräumige Hörsäle, wovon 2 zum Elementar Unterrichte, 1 für eine Industrie Schule und 1 für einen allenfalsigen 3ten Lehrer bestimmt sind, erheben das Herz zu recht frohen Gefühlen und berechtigen zu dem schönen Wunsche, daß darin goldene Früchte der Weisheit und Tugend gedeihen.“

Die Stadt hatte nicht die gesamten Baukosten zu tragen: Sie erhielt Zuschüsse von der Regierung des Oberdonaukreises und vom Schrobenhausener Schulfonds, der sich unter anderem aus Vermächtnissen speiste, schließlich erlöste sie 673 Gulden aus dem Verkauf des alten, ausgedienten Schulhauses. Trotzdem war dieses neue Schulhaus eine stolze Leistung für eine Stadt, die im Jahr 1818 nur 1.649 Einwohner zählte, nach heutigem Maßstab eine Investition in Millionenhöhe.

Waren nun die Schüler gut untergebracht, so ließ die Errichtung der vom Lokalschulinspektor erwähnten „Industrieschule“ noch auf sich warten. Da aber im alten Rathaus Platzmangel herrschte, wurde im Jahr 1824 ein noch freies Zimmer des Schulhauses dem Stadtschreiber als Arbeitszimmer zugewiesen, „weil sich ein solches in keinem der übrigen Stadtgebäude vorfand“, wie der Schrobenhausener Magistrat der Regierung des Oberdonaukreises mitteilte, die eine Räumung der Kanzlei aus dem Schulhaus verlangte.

Doch inzwischen hatten auch die Pläne für eine „Industrieschule“ konkretere Formen angenommen. Industrieschulen waren die direkten Vorläufer der heutigen Berufsschule, die Schrobenhausener Schule gehörte zu den ersten Schulen dieser Art in Bayern, vielleicht auch deshalb, weil ein so weitsichtiger Fabrikant wie Karl Poellath „Schulrat“ war, eine Funktion, am ehesten vergleichbar mit dem heutigen Schulreferenten des Stadtrats. Die Industrieschule für Knaben hieß „Handwerker- und Zeichenschule“, die Industrieschule für Mädchen unterrichtete hauswirtschaftliche Gegenstände. Beide erhielten im Schulhaus ihre erste Unterkunft.

So großzügig Magistrat und Gemeindebevollmächtigte geplant hatten, die allgemeine Entwicklung konnten die beiden Gremien nicht vorhersehen. So verdreifache sich die Bevölkerung in Deutschland zwischen 1800 und 1950, die Industrialisierung brachte immer höhere Anforderungen an die Bildung und damit auch eine verlängerte Schulpflicht mit sich. Während der Bevölkerungsüberschuss aus den kleineren Gemeinden abwanderte – in Großstädte und industriell entwickelte Gebiete – stieg die Bevölkerung der Stadt Schrobenhausen prozentual etwa im selben Maße wie im Reichsdurchschnitt, ein Zeichen für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Stadt.

Durch die Zunahme der Schüler und Klassen wurde zuerst die Industrieschule ausquartiert, sie bezog einen Raum im Rathaus. In den vierziger Jahren „entstand in Schrobenhausen das Bedürfnis“, wie es in einer Festschrift heißt, „Knaben und Mädchen zu trennen und die Erziehung der Mädchen Schulschwestern anzuvertrauen“. Nach anfänglich vergeblichen Anwerbeversuchen konnten Schwestern vom Englischen Institut aus Augsburg gewonnen werden. Im Jahr 1856 wurde also der Unterricht für Knaben und Mädchen getrennt, eine Trennung, die über ein Jahrhundert dauern sollte. So zog in unser Schulhaus an der Poststraße die Mädchenschule ein, die Schulschwestern erhielten darin Wohnräume. Die Knabenschule wurde einstweilen im Rathaus untergebracht.

Die Ordensschwestern konnten jedoch schon bald das Rentamtsgebäude – das ehemalige Spital – erwerben und gründeten dort eine eigene Niederlassung ihres Ordens. Es folgte der Ausbau der Gebäude, so dass die Mädchenschule nun in den Bereich der heutigen Mädchenrealschule verlegt werden konnte, die Knabenschule kehrte im Jahr 1865 in das Schulhaus an der Poststraße zurück und blieb dort viele Jahrzehnte.

Schrobenhausen altes Schulhaus

Diese historische Postkarte, die vermutlich nicht allzu lange nach 1900 entstand, zeigt das aufgestockte Schulhaus (Sammlung: Benno Bickel)

Mit der Zunahme der Schüler und Klassen wurde das ursprünglich so geräumige Schulhaus bald wieder zu eng. So ging man 1889 daran, das Gebäude um ein Stockwerk zu erhöhen: Es erhielt die heutige äußere Form. Die Baumaßnahmen wurden 1890 abgeschlossen, man konnte durch den Umbau drei zusätzliche Unterrichtsräume gewinnen. Doch auch diese Erweiterung reichte nicht lange aus: So wurden bereits im Jahr 1906 Unterrichtsräume in das Armenhaus (das heutige Verwaltungsgebäude Regensburger Str. 5) ausgelagert. Immer mehr Unterrichtsräume entstanden nun hier, so dass nach dem Ende des Ersten Weltkriegs die Knabenschule ganz ins Armenhaus verlegt wurde und 1921 die neu gegründete Landwirtschaftsschule ins ehemalige Knabenschulhaus einzog. Einzelne Räume wurden aber – bei Bedarf – immer wieder anderen Schrobenhausener Schulen überlassen, so der Knabenschule, der Berufsschule, später auch der 1938 gegründete Oberschule, das spätere Gymnasium. Unmittelbar nach Kriegsende waren amerikanische Soldaten im Schulgebäude einquartiert.

Schrobenhausen Armenhaus Knabenschule

Das städtische Armenhaus, später Knabenschule, heute Verwaltungsgebäude Regensburger Str. 5, in einer historischen Aufnahme (Sammlung Peter Pfitzner)

Mit der Gründung der Landwirtschaftsamts nach dem Zweiten Weltkrieg wurde ein Neubau für ein eigenes Amtsgebäude ins Auge gefasst, der auch die Landwirtschaftsschule aufnehmen sollte. Mit der Einweihung des Neubaus an der Ringstraße im Jahr 1951 erhielt die Landwirtschaftsschule eine neue Heimat, nun zog die Städtische Oberrealschule das Schulgebäude an der Lenbachstraße ein. Auch die Straßenbezeichnung hatte sich inzwischen geändert: In der NS-Zeit war die alte Poststraße in Hindenburgstraße umbenannt worden, nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt sie die heutige Bezeichnung Lenbachstraße.

Der Zustrom zur Schrobenhausener Oberrealschule war groß, zumal viele vergleichbare Nachbarstädte erst viel später eine höhere Schule erhielten. So kamen bis zur Hälfte der Schüler aus benachbarten Landkreisen, vor allem aus dem Landkreis Aichach. All das führte bald zu sehr unbefriedigenden Schulverhältnissen: Einzelne Klassen mussten ausgelagert werden, Schichtunterricht war über viele Jahre die Regel. Erst nach der Verstaatlichung der Schule im Jahr 1960 konnte mit einem Neubau begonnen werden, im Jahr 1961 bezog die Oberrealschule diesen Neubau an der Michael-Thalhofer-Straße.

Gymnasium Schrobenhausen

Der Neubau des Gymnasiums Schrobenhausen steht wenige Jahre nach der Eröffnung 1963 noch auf der „grünen Wiese“ (Foto: Benno Bickel)

Im nahtlosen Übergang erhielt die Schrobenhausener Verbandsberufsschule das Gebäude, das für diesen Zweck jedoch auf die Dauer zu klein war. Nach der Umwandlung der Schule in eine Kreisberufsschule wurde ein Neubau im neu entstehenden “Schulviertel“ an der Georg-Leinfelder-Straße hochgezogen, der im Herbst 1964 bezogen werden konnte.

Schon Anfang der sechziger Jahre hatten die Diskussionen begonnen, was mit dem Schrobenhausener Waaghaus und dem alten Rathaus geschehen sollte, deren baulicher Zustand äußerst schlecht waren. Als das Waaghaus im Jahr 1967 abgerissen wurde, musste das Heimatmuseum neu untergebracht werden, das sich seit 1943 im Erdgeschoß des Waaghauses befunden hatte. Es erhielt nun zwei große Räume im Obergeschoß unseres Schulhauses, wurde dort jedoch erst 1974 wieder eröffnet. Ein Kuriosum nebenbei: Schon bei der Eröffnung des Heimatmuseums wurde die Meinung geäußert, dass das Landratsamt, das frühere Pflegschloss, für das Museum wohl noch besser geeignet wäre und man diesen Standort nicht aus den Augen verlieren sollte.

Mit dem Abriss des alten Rathauses im Jahr 1968 wurde auch die Stadtbücherei heimatlos: Sie war in einem Raum des Rathauses untergebracht gewesen und erhielt nun einen Raum im Erdgeschoß des jetzigen vhs-Gebäudes. Mit dem gleichen Beschluß aus dem Jahr 1968 wurde auch der Schrobenhausener Volkshochschule dort ein Raum zugewiesen. Der Umzug der Geschäftsstelle der Volkshochschule erfolgte jedoch erst zwei Jahre später. Im Jahr 1970 nämlich gab der langjährige Geschäftsführer der vhs, Stadtamtmann Otto Kunz, seine Tätigkeit ab; die Geschäftsstelle hatte sich während seiner Amtszeit im Rathaus befunden. Bereits im Jahr 1974 gründete die Stadtbücherei eine Zweigstelle in der Hauptschule, im Jahr 1988 zog sie ganz in ihre nun erweiterten Räume in der Georg-Leinfelder-Straße.

Ende der achtziger Jahre nahm das Interesse an der Erwachsenenbildung und das Kursangebot der Schrobenhausener Volkshochschule explosionsartig zu. Das führte zu großer Raumnot, die Kursräume waren auf viele Gebäude verteilt, was enormen Organisationsaufwand erforderte und immer wieder zu Reibereien führte. Andererseits verdichteten sich die Pläne, das Heimatmuseum auszulagern und schließlich im alten Pflegschloss unterzubringen. So konnte die Schrobenhausener Volkshochschule bereits im Jahr 1987 den Antrag an die Stadt Schrobenhausen stellen, „die im Zuge der Verlegung des Heimatmuseums und der Bücherei freiwerdenden Räume für die Volkshochschule vorzusehen“.

Nach mehrjähriger Diskussionen traf der Schrobenhausener Stadtrat im Jahr 1990 den Grundsatzbeschluss, das Gebäude Lenbachstraße 22 zu sanieren und der Volkshochschule zur Verfügung zu stellen. Im Jahr 1991 wurden die Bestände des Heimatmuseums ausgelagert, im Jahr 1995 bezog die Volkshochschule gemietete Räume in der Volksbank, die grundlegende Sanierung fand in den Jahren 1997 und 1998 statt.

Schrobenhausen vhs-Haus Lenbachstraße 22

Das Gebäude als vhs-Haus im Zustand des Sommers 2014 (Foto: Benno Bickel)

Genau 175 Jahre sind vergangen, dass der Umbau aus einem Wirtshaus zur damals so hochgelobten Schrobenhausener Schule fertiggestellt wurde. Seither ist das Gebäude fast ausschließlich für – ganz unterschiedliche – Bildungszwecke verwendet worden. So spiegelt das jetzige Gebäude der Volkshochschule auch die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung dieser Zeit wider: Nämlich über die steigenden Bildungsanforderungen an Kinder und Jugendliche, an junge Berufstätige und schließlich heute an die Erwachsenen.


Anmerkung: Dieser Text, verfasst von Max Direktor, dem langjährigen Leiter des Stadtarchivs Schrobenhausen, war für eine Schrift zur Eröffnung des städtischen Gebäudes Lenbachstraße 22 nach erfolgter Sanierung als vhs-Haus am 13. November 1998 vorgesehen. Die Veröffentlichung fiel damals leider Sparmaßnahmen der Stadt Schrobenhausen zum Opfer. Wir geben hier den Text mit wenigen redaktionellen Anpassungen wieder.